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  • Nils Havemann

„Witz, komm raus, du bist umzingelt“! – WDR warnt vor Otto-Humor


Über Geschmack lässt sich bekanntlich nicht streiten. Was für Essen, Farben oder Musik gilt, trifft sicherlich auch auf den Humor zu. Worüber Menschen lachen können, ist oft sehr unterschiedlich und nicht zuletzt von der Zeit abhängig, in der das Komische entsteht. Während antike Tragödien mit ihren Inhalten über Tod, verschmähte Liebe und schuldhafte Verstrickungen noch 2000 Jahre später im Publikum Betroffenheit erzeugen können, vermögen heute selbst die Werke des wohl berühmtesten römischen Komödiendichters Terenz nicht einmal ein müdes Lächeln hervorzurufen: Allenfalls Althistorikern und Latinisten, die mit den damaligen gesellschaftlichen Verhältnissen bestens vertraut sind, ringen sie ein leichtes Schmunzeln ab.


Der Komiker Otto Waalkes ist ebenso wenig ein Komödiendichter in der Tradition von Terenz, noch sind seine Werke mehr als 2000 Jahre alt. Vielmehr feierte er gerade seinen 75. Geburtstag, den der WDR zum Anlass nahm, die Fernsehshows des Ostfriesen aus den 1970er Jahren in die Mediathek zu stellen. Eigentlich ist dies eine nette Geste, die als eine tiefe Verbeugung vor dem Jubilar verstanden werden könnte – wenn der Sender nicht auf die merkwürdige Idee gekommen wäre, diese alten Episoden mit einem Warnhinweis zu versehen: „Das folgende Programm wird, als Bestandteil der Fernsehgeschichte, in seiner ursprünglichen Form gezeigt. Es enthält Passagen, die heute als diskriminierend betrachtet werden.“


Die Empörung darüber ist groß! Wie kann man nur vor einem verdienten Komiker warnen, der viele Deutsche nun schon seit einem halben Jahrhundert zuverlässig zum Lachen bringt! Wenn jetzt schon seine alten Witze als „diskriminierend“ empfunden werden, müsste deutsches humoristisches Kulturgut von Heinz Erhardt und Loriot gleich mit entsorgt werden! Wieder einmal, so der Vorwurf, verwechselt der öffentlich-rechtliche Rundfunk seinen „Versorgungsauftrag“ mit einem „Erziehungsauftrag“!


Tatsächlich ist nach Betrachtung dieser alten Otto-Shows nur schwer zu erkennen, wo sie „diskriminierend“ sein sollen – allerdings auch nicht, warum sie damals so viele Menschen zum Schreien komisch fanden. Sie wurden zu regelrechten „Straßenfegern“, die schon vor ihrer Ausstrahlung freudige Aufregung erzeugten. Wahrscheinlich lag dies daran, dass sich die Zuschauer noch viele Monate später auf dem Schulhof, am Arbeitsplatz oder im Familienkreis über seine Shows austauschen konnten, seine Witze nacherzählten oder sogar im typischen Otto-Stil zu imitieren versuchten. Das einmütige Lachen schuf Gemeinschaft, die vielleicht den gesellschaftlichen Zusammenhalt ein wenig stärkte: Gibt es eine schönere Wirkung, die ein Künstler erzielen kann?


Man kann daher dem WDR auch dankbar dafür sein, dass er überhaupt die alten Sendungen aus dem Archiv gekramt hat. Immerhin hat er nicht Zensur betrieben, vermeintlich diskriminierende Stellen herausgeschnitten oder weggepiepst. Auch hat er auf Untertitel verzichtet, die den Zuschauer darauf hinweisen, wo er lachen darf oder wo der öffentlich-rechtliche Anstand es gebietet, entrüstet den Kopf zu schütteln.


Und wer weiß? Falls der WDR daran festhält, mit Disclaimern vor einigen Inhalten in alten Programmen zu warnen, lesen wir vielleicht in 50 Jahren: „Achtung, die folgende Sendung enthält Gendersprache.“

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