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  • Nils Havemann

Wann kommt der nächste Börsencrash?


Der September 2023 hat seinem Ruf als schlechter Börsenmonat wieder alle Ehre gemacht. Rund um den Globus sind die Kurse vor allem im Technologiebereich gefallen. Bislang sieht es lediglich nach einer überfälligen Korrektur aus, nachdem sich die Weltbörsen in den Monaten zuvor unerwartet gut entwickelt hatten.


Noch Anfang des Jahres hatten große US-amerikanische Geldhäuser vor dem Einstieg in Aktien gewarnt. Vor allem die restriktive Geldpolitik der US-amerikanischen Notenbank gab Anlass zur Sorge vor einer unmittelbar bevorstehenden Rezession, die schwer auf den Unternehmensgewinnen lasten werde. – Pech, wer der Expertise der Börsenprofis vertraute: Die Rezession kam in den USA (bislang) nicht, und die Kurse des marktbreiten S&P 500 stehen trotz des schlechten Septembers immer noch rund 12 Prozent höher als zu Jahresanfang.


Wie immer, wenn die Börsen boomen, boomt auch das Geschäft der Crashpropheten, die vorhersagen, dass die Kurse bald ins Bodenlose fallen werden. Gründe gibt es genug, die zu einem massiven Einbruch, vielleicht sogar Crash führen könnten: eine erneute Pandemie, eine große Bankenkrise, ein Wiederaufflammen der Inflation, eine drohende Staatspleite, ein Krieg um Taiwan – vorstellbar ist vieles! Insofern stellen Schwarzmaler ein sinnvolles Korrektiv zur nackten Gier dar, die in der Vergangenheit schon allzu viele Menschen mit dem Verlust von Haus, Hof und letztem Hemd bezahlten.


Crashpropheten haben aber noch einen weiteren Vorzug: Sie besitzen einen hohen Unterhaltungswert, weil sie mit ihren Vorhersagen über den zukünftigen Verlauf der Kurse entweder zu komischen Figuren oder tragischen Helden werden. Ein kurzer Blick auf die vier größten Crashs der letzten rund 100 Jahre offenbart die Tücken ihrer dunklen Prophezeiungen.


Der wahrscheinlich bekannteste Crash des 20. Jahrhunderts war jener vom 24. Oktober 1929, weil er politisch und wirtschaftlich besonders für Deutschland gravierende Folgen hatte: Ohne die nachfolgende Weltwirtschaftskrise wäre Hitler im Januar 1933 wahrscheinlich nicht an die Macht gelangt. Dabei war es nicht ein Crash, sondern eine ganze Reihe von Crashs, durch die zwischen 1929 und 1932 die Kurse trotz einiger Zwischenerholungen um mehr als 80 Prozent einbrachen.


Das Desaster vorhergesagt hatte unter anderen der US-amerikanische Ökonom Roger Babson. Am 5. September 1929, also nur wenige Wochen vorher, hatte er mit einer entsprechenden Aussage sogar für einen ersten kleinen Abverkauf an der Wall Street gesorgt. Allerdings hatte er schon 1927 davon gesprochen, dass die Kurse bald fallen würden. Wer ihm also zwei Jahre früher gefolgt wäre, hätte den besten Teil der Party verpasst. Immerhin sollten sich die Kurse in den zwei Jahren bis zum großen Krach fast verdoppeln. Wahrscheinlich muss man ein besonders nüchterner Typ sein, um selbst in der größten Börseneuphorie nicht der blinden Habsucht zu verfallen: Babson sollte noch einmal 1940 von sich reden machen, als er bei den Präsidentschaftswahlen gegen Franklin D. Roosevelt als Kandidat für die antialkoholische Prohibition Party antrat.


Im Vergleich zu 1929 war der Crash vom 19. Oktober 1987 ein fröhlicher Kindergeburtstag. Diese Einschätzung mag eigenwillig klingen angesichts der Tatsache, dass an jenem Tag der Dow Jones mit 22,6 Prozent den höchsten prozentualen Sturz innerhalb eines Tages erlebte. Doch im Gegensatz zu 1929 blieben die ökonomischen und politischen Verwerfungen eher gering, weil sich die Kurse vergleichsweise rasch wieder erholten.


Weil damals niemand wusste, wie schnell die Kursverluste wieder ausgebügelt werden würden, hatten viele gebeutelte Anleger schlaflose Nächte. Hätte man doch nur auf Robert Prechter gehört, der rund zwei Monate vorher den Einbruch prophezeit hatte! Doch der US-amerikanische Ökonom sollte seinen Kultstatus unter den Börsianern bald wieder verlieren. Schlimmer noch: Mit weiteren Prognosen machte er sich zum Gespött. 2009 war er sich sicher, dass der Dow Jones innerhalb der nächsten sechs Jahre auf weniger als 1000 Punkte zusammenbrechen würde – stattdessen eilte der Index zu neuen Höchstständen; 2010 meinte er, dass Gold auf 700 Dollar pro Unze fallen werde –schlecht für seinen Ruf, dass das Edelmetall bis heute nie mehr einen dreistelligen Kurs erreichte; und 2011 war er überzeugt, dass Öl noch einmal für 10 Dollar pro Barrel gehandelt werden würde – jeder Autofahrer weiß, dass diese paradiesischen Zustände erst neun Jahre später während der Corona-Pandemie für sehr kurze Zeit eintraten, ansonsten aber die Preise für das „schwarze Gold“ um ein Vielfaches höher lagen.


2000 begann an den internationalen Börsen die „Dotcom-Blase“ zu platzen. Sie hatte in den Jahren zuvor die Notierungen aller Aktiengesellschaften, die nur im Entferntesten irgendetwas mit dem Internet zu tun hatten, in gigantische Höhen getrieben. Eigentlich war es keine große Kunst vorherzusehen, dass die von Euphorie zeugenden Fahnenstangen in den Chartverläufen früher oder später in einen rasanten Sturzflug übergehen würden.


Der in Deutschland bekannteste und populärste Fachmann, der frühzeitig davor warnte, war Friedhelm Busch. Der Wirtschaftsjournalist leistete seit den späten1980er Jahren mit seinen unterhaltsamen Fernsehberichten über das Geschehen auf dem Börsenparkett einen größeren Beitrag zur Entstehung einer deutschen Aktienkultur als die Telekom mit ihrem Börsengang im November 1996. Umso mehr befürchtete er, dass dieses frisch entfachte Interesse durch einen Crash bei den gehypten Unternehmensaktien aus dem Technologiebereich erlöschen könnte. Busch gehörte einer Generation von Börsianern an, die noch Unternehmensbilanzen lesen konnten. Er kannte den Unterschied zwischen Umsatz und Ertrag und hielt daher das Kurs-Gewinn-Verhältnis für weitaus wichtiger als das Kurs-Phantasie-Verhältnis. Entsprechend riet er in seinen Kommentaren zu einem Investment in solidere Aktiengesellschaften, die nicht erst in 10 oder 20 Jahren Geld verdienen würden.


Was der gute Mann mit seinen Empfehlungen für gestandene Unternehmen wie Siemens, BASF oder Allianz nicht wissen konnte: Mit dem Platzen der Dotcom-Blase, das zunächst die Kurse der hoffnungslos überbewerteten Internetaktien pulverisierte, gerieten auch die Anteilsscheine aus der „Old Economy“ in einen grauenvollen Abwärtssog. Der DAX verlor ab März 2000 innerhalb von rund zwei Jahren rund 70 Prozent seines Wertes. So mancher Deutscher, der gerade erst die Aktie als Instrument zum Vermögensaufbau entdeckt hatte, kramte wieder Muttis altes Sparschwein hervor, in das er die kümmerlichen Reste seines Geldes warf.


Während der Finanzkrise 2008/2009, für die sinnbildlich der Zusammenbruch der US-amerikanischen Investmentbank Lehman Brothers am 15. September 2008 stand, purzelten die Kurse weltweit um mehr als 50 Prozent. Auch damals konnte kein suizidgefährdeter Aktionär behaupten, dass der Crash überraschend gekommen wäre. Wieder gab es eine Fülle von Fachleuten, die vor einem Massaker an den internationalen Handelsplätzen gewarnt hatten. Der prominenteste unter ihnen: Robert Shiller.


Der Wirtschaftswissenschaftler hatte 2005, also drei Jahre vorher, in seinem Buch „Irrationaler Überschwang“ die Bildung einer Immobilienblase in den USA mit den entsprechenden Konsequenzen für die Finanzmärkte analysiert. Für seine Forschungen über die Entstehung von Spekulationsblasen wurde er 2013 sogar mit dem Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften geehrt. Aber selbst solche klugen Menschen sind nicht dagegen gefeit, sich mit ihren Prognosen furchtbar zu blamieren. Denn im Grunde befindet sich Shiller schon seit den 1990er Jahren im Dauerwarnmodus, weil nach seiner Auffassung die US-amerikanischen Aktien im historischen Vergleich viel zu hoch bewertet seien. Schon 1996 meinte er, dass die US-Aktienmärkte in den nächsten zehn Jahren um 40 Prozent fallen würden. Stattdessen stiegen sie um mehr als 200 Prozent.


Und was lehrt uns dies? Eine Crashprognose ist so zuverlässig wie eine stehen gebliebene Uhr: Selbst sie zeigt einmal am Tag die korrekte Zeit an. Die Wahrscheinlichkeit, mit seinen Vorhersagen einmal richtig zu liegen, steigt mit ihrer Häufigkeit. Also: Der nächste Crash an den Börsen kommt so sicher wie das Amen in der Kirche, nur kennt niemand seinen Zeitpunkt. Wem diese Unvorhersehbarkeit Angst macht, sollte sich vom Aktienmarkt fernhalten und sein mühsam Erspartes Geld auf dem Konto bunkern.


Für die Beantwortung der Frage, ob man damit langfristig besser fährt, gibt es im Übrigen auch schon zwei Prognosen: Die eine sagt ja, die andere nein.

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