- Nils Havemann
Fußball-Weltmeisterin von Verbandschef belästigt! – Können denn Küsse Sünde sein?

Luis Rubiales, Präsident des spanischen Fußballverbandes RFEF, küsste am 20. August 2023 in Sydney bei der Siegerehrung des spanischen Frauen-Nationalteams nach dem Gewinn der Weltmeisterschaft die Nationalspielerin Jennifer Hermoso ungefragt auf den Mund! Seitdem tobt in der internationalen Presse und in den sozialen Medien ein erbitterter Streit darüber, wie schändlich diese Tat war. Während die einen nicht nur den Rücktritt des Verbandspräsidenten fordern, sondern ihn am liebsten gleich für mehrere Jahre hinter schwedische Gardinen sehen würden, verlangen die anderen Nachsicht mit dem spanischen Herrn, der sich doch nur aus lauter Freude über den sportlichen Triumph der Damen zu dieser ungebührlichen Annäherung habe hinreißen lassen.
Dass der Fußball spätestens seit den 1920er Jahren auch abseits des Geschehens auf dem grünen Rasen immer wieder Gelegenheit für aufschlussreiche Debatten über politische, wirtschaftliche oder gesellschaftliche Fragen liefert, ist bekannt. Relativ neu ist hingegen, dass er nun dazu dient, sogar jenseits des Strafrechts Regeln im Verhalten zwischen den Geschlechtern aufzustellen. Wie schon die zahlreichen Diskussionen über Homosexualität, Regenbogenbinden und Diversity im Fußball offenbarten, eignet sich dieser Sport mittlerweile dazu, ein farbiges Sittengemälde unserer heutigen Zeit zu malen.
Und was verrät uns dieses Bild? Vorbei die Zeiten, als Fußballstars noch dafür bewundert wurden, dass sie wie angebetete Rockstars auf hemmungslosen Sexpartys mit Groupies ihre Ehefrauen betrogen! Aus für Machos wie Berti Vogts, der wütenden Fans empfahl, „ihre Emotionen zu Hause in den Wohnzimmern mit ihren Frauen aus[zu]leben“! Und Schluss mit frauenfeindlichen Fußballstars wie George Best, der damit prahlte: „Ich habe eine Menge Geld für Alkohol, Weiber und schnelle Autos ausgegeben – den Rest habe ich verprasst.“ Stattdessen herrscht nun auch im Fußball die „Me Too“- Aufregung, die anscheinend nur noch dadurch heruntergekühlt werden kann, dass vor jeder körperlichen Berührung wie Handschlag, Umarmung oder Kuss ein juristisch wasserdichter Vertrag über die Details der geplanten Annäherung ausgehandelt wird.
Konsequent zu Ende gedacht, gilt dies selbstverständlich nicht nur im Umgang zwischen Männern und Frauen im Fußball, sondern auch zwischen Männern und Männern sowie zwischen Frauen und Frauen. Denn auch unter Gleichgeschlechtlichen kann das Unbehagen über spontane, unerwünschte Körperkontakte groß sein. Im Grunde müsste beim gemeinsamen Jubel über Tore und Siege im Fußball grundsätzlich jede Berührung strengstens reguliert, wenn nicht gar verboten werden, um solche anstößigen Vorfälle für alle Zeit zu unterbinden.
Aber vielleicht ist es ja auch nicht unbedingt erforderlich, aus einem solchen Ereignis sofort einen Skandal zu stricken oder Forderungen nach einer strengeren Fassung des offiziellen Jubel-Regelwerks abzuleiten. Sofern Rubiales mit seinem Kuss eine strafbare Handlung begangen haben sollte, wird ihm die Justiz schon die fällige rote Karte zeigen. Und sollte dieser unerwünschte Kuss noch im Rahmen des gesetzlich Erlaubten gewesen sein, weil er angeblich aus einem Überschwang der Gefühle resultierte, können Betroffene in ähnlichen Situationen zukünftig auf andere Mittel zurückgreifen: etwa eine ordentliche Ohrfeige – selbstverständlich auch nur aus einem Überschwang der Gefühle.