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  • Nils Havemann

Deutsche Biedermänner auf der Suche nach den wirklichen Brandstiftern


Historiker werden bisweilen mit der unangenehmen Frage konfrontiert, warum sie Geschichte studiert haben. Im Grunde gibt es darauf zwei Antwortmöglichkeiten. Die Ehrliche lautet, dass das Studium Spaß macht, interessant ist und einen anerkannten akademischen Abschluss selbst denjenigen Abiturienten ermöglicht, die in Mathematik oder Physik keine Leuchte sind.


Es gibt aber auch die hochtrabende Antwortmöglichkeit, deren sich vor allem jene Historiker bedienen, die ihrem eifrigen Wälzen in verstaubten Akten einen höheren gesellschaftlichen Sinn zu verleihen versuchen: Die Erforschung der Geschichte soll dazu beitragen, dass die Menschheit aus Fehlern der Vergangenheit lernt.


Vor allem für die Deutschen ist dieses Motiv nach den Gräueln des Nationalsozialismus fast zur Besessenheit geworden. Wohl kaum ein anderes Thema haben Historiker derart intensiv erforscht wie diese unseligen Jahre zwischen 1933 und 1945, als die Nationalsozialisten fast ganz Europa in Schutt und Asche legten und einen grauenvollen Völkermord an den Juden begingen. Die bahnbrechenden Erkenntnisse, welche die Wissenschaft über diese Zeit zutage förderte, erzeugten mit der Zeit einen kollektiven Schwur: „Nie wieder“ wollen und werden wir es zulassen, dass sich so etwas wiederholt!


Und: Haben wir Deutschen tatsächlich aus unserer Vergangenheit gelernt?


Wer sich die Reaktionen in Deutschland auf die Ereignisse der vergangenen Woche im Nahen Osten vergegenwärtigt, könnte erhebliche Zweifel bekommen. Nach dem Angriff der Hamas, bei dem zahllose Zivilisten auf grauenvolle Weise ermordet wurden, beeilten sich zwar viele Politiker, Israel ihrer „uneingeschränkten“ Solidarität zu versichern und den Schutz seiner Existenz zur „deutschen Staatsräson“ zu erklären; doch den wohlklingenden Worten folgten bislang allenfalls halbherzige Taten: Verbot von Organisationen, die hier seit vielen Jahren ihren Hass auf Juden und Israel ungeniert verbreiten? Vereinzelt. Selbstkritische Beleuchtung der Folgen der vielen Millionen Euro, die in den letzten Jahrzehnten für „humanitäre Hilfe“ in den Gazastreifen geflossen sind? Allenfalls in Ansätzen. Verhaftung und Abschiebung von Personen, die auf deutschen Straßen die Morde der Hamas feierten? Nicht bekannt. Einsicht in die Notwendigkeit, den weiteren Import solcher außenpolitischen Konflikte nach Deutschland zu stoppen? Nur in Worten.

Dabei trat endgültig zutage, was eigentlich jedem aufmerksameren Beobachter schon lange bekannt war: Nicht zuletzt Personen, Organisationen und Parteien, die dem „linken“ Spektrum zugeordnet werden, haben ein offenkundiges Antisemitismusproblem, das sich in ihren unverhohlenen Sympathien für die Hamas-Anschläge und in ihrer Ablehnung des Staates Israel äußert.


Es würde an dieser Stelle zu weit führen, auf die historischen Wurzeln des „linken“ Antisemitismus einzugehen: Sie sind ähnlich tief und weitverzweigt wie jene auf der „rechten“ Seite. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang etwas anderes: Falls in Deutschland tatsächlich die Fähigkeit vorhanden ist, aus der Geschichte zu lernen, dann wird man nicht nur andauernd nach „rechts“ schauen müssen, um „Gefahren für die Demokratie“ zu identifizieren, sondern in gleichem Maße auch nach „links": Boshaftigkeit, Gewaltbereitschaft und „Rassismus" sind auch unter jenen verbreitet, die sich den schicken Mantel des „Antifaschismus" umgehängt haben.


Es ist Zeit für die Erkenntnis, dass sich die deutschen Biedermänner in den letzten Jahren sehr viele Brandstifter ins Haus geholt haben, die ihr antisemitisches Feuer in öffentlichen Bildungseinrichtungen und staatlichen Institutionen bis in höchste Regierungskreise hinein gelegt haben. – Zum Löschen ist es ebenso wenig zu spät wie zum Lernen aus der Geschichte.

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