- Nils Havemann
Alice Schwarzer und „Misogynie“: Sandkasten-Sprache unter „Eliten“

Es ist nicht immer einfach zu erklären, warum wir etwas nicht mögen, zurückweisen, vielleicht sogar hassen. Oft entstehen negative Urteile nicht aus einem rationalen Gedankenprozess, sondern aus emotionalen Befindlichkeiten oder persönlichen Interessen. Entsprechend kann es ziemlich anstrengend sein, eine ablehnende Haltung sachlich zu begründen. Bei kleinen Kindern, aber auch unter Jugendlichen ist dies häufig zu beobachten, wenn sie in Streit miteinander geraten. Das nicht sonderlich ausgeprägte Reflexionsvermögen führt in Verbindung mit dem fehlenden Wortschatz zu etwas unhöflichen Formulierungen wie „Du bist blöd“, „Du bist böse“ oder „Du bist Assi“ – worauf bestenfalls ein paar Sandkasten-Förmchen fliegen, in neuerer Zeit bisweilen auch schärfere Gegenstände. Gut also, dass die politischen Verantwortungsträger und die intellektuelle Elite in unserer Gesellschaft zumeist ein höheres Alter erreicht haben, in dem die Fähigkeit zur differenzierteren Argumentation vorhanden ist.
Aber ist sie dies wirklich? Kurz vor Beginn des Literarischen Herbstes in Leipzig „haben 33 Künstlerinnen und Künstler die Absage einer Veranstaltung mit Alice Schwarzer gefordert". Ihre Begründung: Schwarzer falle immer wieder durch „transfeindliche, rassistische und misogyne Aussagen und Publikationen“ auf.
Bei genauerer Betrachtung der Wortwahl verfestigt sich der Eindruck, dass die „Künstlerinnen und Künstler" „blöd“, „böse“ oder „Assi“ lediglich in eine kultiviertere Sprache übersetzt haben, die auf Bildung hindeuten soll. Die Ausdrucksweise ist – wie der Brite sagen würde – allenfalls „more sophisticated“ als im Sandkasten. „Transfeindlich", „rassistisch" und „misogyn" hören sich um Längen besser an als die einsilbigen Pöbeleien des Nachwuchses - zeugen aber von ähnlicher argumentativer Hilflosigkeit: Es geht den „Künstlerinnen und Künstlern" in diesem Fall allein um Herabsetzung und Ausgrenzung.
Dabei könnten solche Begriffe in der Auseinandersetzung durchaus ihre Berechtigung haben, sofern einigermaßen deutlich wird, was darunter verstanden wird. Wenn dann noch Begründungen und entsprechende Belege dafür folgten, warum Schwarzer, die seit Jahrzehnten als streitbare Frauenrechtlerin bekannt ist, plötzlich „misogyn" sein soll, dann wäre dies in der Tat informativ. Aber wo ist diese Argumentation zu finden? Die Forderung, eine Veranstaltung mit Schwarzer abzusagen, scheitert schon daran, dass sie keine plausible Definition solcher imponierenden Begriffe liefert.
Sicherlich kann man einwenden, dass öffentliche Aufrufe keine Oberseminare sind oder den Regeln wissenschaftlicher Abhandlungen folgen müssen. Aber warum wird dann nicht gleich vollständig auf solche skandalisierenden Begriffe verzichtet? Sie sind in einem derartigen Umfeld allein auf Krawall und Konfrontation ausgerichtet, so dass sie das Gegenteil von dem bewirken, was „Künstlerinnen und Künstler" doch angeblich erreichen wollen: Sie „spalten“, erzeugen auf allen Seiten Verdruss und fördern Konflikte, weil die meisten Menschen klare Begründungen und Belege dafür hören möchten, warum ein Standpunkt richtig oder falsch, eine Person gut oder böse sein soll.
Im Falle, dass solche Urteile mit sachlichen Argumenten unterlegt wären, fände sich in der erwachsenen Bevölkerung sicherlich auch eine große Mehrheit, die den Gebrauch der Sandkasten-Sprache akzeptieren würde: „Blöd“, „böse“ und „Assi“ sind jedenfalls weitaus verständlichere Ausdrücke als „transfeindlich", „rassistisch" und „misogyn", die in diesem Zusammenhang auch nicht mehr als gewöhnliche Beleidigungen im Gewand einer gestelzten Wissenschaftssprache sind.